Heute vor einem Jahr wurde Japan von einem Erdbeben der Stärke 9,0 erschüttert, dem folgte ein Tsunami, der mehr als 20.000 Menschen in den Tod riß, und das Unglück im AKW Fukushima I.
Zu dieser Zeit hielt ich mich in Japan auf und war gerade dabei, dort einen neuen Lebenabschnitt zu beginnen, es kam jedoch anders. Auf Drängen meiner Familie gings zurück, aber nur für einen knappen Monat. Ich hab's durchgezogen und bin in Japan geblieben, habe einen Job gefunden und lebe den Alltag nach 3.11. - wie das verhängnisvolle Datum in Japan genannt wird - so gut es geht.
Im Augenblick befinde ich mich jedoch in Österreich. Ferienzeit, die einzige Zeit, in der ich frei nehmen konnte. Genau zum Jahrestag von 3.11. sitze ich unter blauem Himmel und höre das zwitschern der Vögel, die den nahenden Frühling herbeisingen, in einer Idylle, die ich aus Kindheitstagen kenne.
Überblick einiger Demonstrationen im Großraum Tôkyô für den 3.11.2012 |
Vor ein paar Tagen gings auch nach Wien, um alte Freunde wieder zu treffen. Wie es so ist, wenn man sich lange Zeit nicht gesehen hat, hat man so viel zu erzählen, dass man 50.000 Stunden reden könnte - oder gar nichts. Es gibt einfach zu viel. Und auch viele Fragen, wie es mir jetzt geht, wie es in Tokyo jetzt denn aussieht, wie es sich so lebt, nach so einer Katastrophe, von der Tokyo eigentlich ziemlich verschont wurde. Ja, das Essen ist so eine Sache, da muss man aufpassen, sage ich. Und doch gibt es noch viel zu sagen und andererseits nichts. Es ist zu viel, so dass es einem die Sprache verschlägt.
Im Moment wäre ich am liebsten wieder in Tokyo, in Japan.
Hier im sicheren, kleinen, verschlafenen Österreich fühle ich mich wieder abgeschnitten und abgeschottet. So wie vor ungefähr einem Jahr.
Hie und da sieht man im Fernsehen Dokumentationen über den 3.11. Ein paar widmen sich den Folgen des Tsunamis und der Situation der Tsunamiopfer. Aber die Mehrheit richtet sich natürlich auf die Geschehnisse im AKW. Wichtige Themen, ja, aber die Aufarbeitung der deutschsprachigen Medien ist ein wenig dilettantisch. Nichts, was man nicht schon wissen würde, was man schon vorher wusste. Wie sieht das Leben nach der Katastrophe jetzt aus, welche Probleme gibt es und wie kommen die Menschen damit zurecht? Danach wird kaum gefragt, sondern gebetsmühlenartig wiedergekäut.
Hie und da sieht man im Fernsehen Dokumentationen über den 3.11. Ein paar widmen sich den Folgen des Tsunamis und der Situation der Tsunamiopfer. Aber die Mehrheit richtet sich natürlich auf die Geschehnisse im AKW. Wichtige Themen, ja, aber die Aufarbeitung der deutschsprachigen Medien ist ein wenig dilettantisch. Nichts, was man nicht schon wissen würde, was man schon vorher wusste. Wie sieht das Leben nach der Katastrophe jetzt aus, welche Probleme gibt es und wie kommen die Menschen damit zurecht? Danach wird kaum gefragt, sondern gebetsmühlenartig wiedergekäut.
Reportage Japan Außer Kontrolle und in Bewegung. von Judith Brandner |
Wäre ich jetzt in Japan, könnte ich in Ruhe die Berichterstattungen von NHK analysieren, kritisch hinterfragen, auf eine Demo gehen und dort mit den Leuten sprechen oder mich umhören. Auch am 9.11. fand eine Großdemo in Tokyo statt - und auch da war ich nicht dabei, weil die Familie drängte, wieder nach Österreich zu kommen. Zu Besuch, auf Urlaub, vielleicht mit dem utopischen Hintergedanken, dass ich letztendlich doch nicht den Rückflug nach Japan antreten würde.
Anstatt jetzt weiter über meine Situation, die langweilig ist, zu philosophieren, möchte ich hier ein paar Links posten, die eventuell interessant sein könnten.
Zum Jahrestag der Katastrophe erheben sich natürlich die Berichterstattungen wie der Phönix aus der Asche. Interessant und lesenswert scheint mir Die Zeit. Natürlich werden wir jetzt dieser Tage erneut von Berichten und Dokus überflutet. Hier nur ein kleiner Auszug, von den Dingen, die ich persönlich für empfehlenswert finde.
- Mein Leben nach Fukushima - so lautet ein Essay der berühmten japanischen Schriftstellerin Yoshimoto Banana, übersetzt ins Deutsche, erläutert sie sanft ihre Sicht der Dinge, äußerst menschlich, äußerst unpolitisch. Eine Frau, eine Mutter, eine Tochter, erhebt ihre Stimme, leise, sanft und doch laut und hörbar. Nicht radikal, nicht kämpferisch, aber hoffnungsfroh und ehrlich.
- Megabeben: Japan muss sich auf das Unerwartbare vorbereiten - dieser Artikel befasst sich kurz und nüchtern mit Erdbeben und Erdbebenvorhersage. Hie und da bringt er neue Informationen ans Licht.
- Gutes Atom, böses Atom - drei kurze Geschichten, Nagasaki, Bikini-Atoll und Fukushima. Ein kurzer Artikel über das atomare Dorf Japans, von der Atombombe auf Japan bis zur "friedlichen" Nutzung der Kernenergie. Lesenswert, hätte jedoch auch noch länger und ausführlicher sein können.
Demonstrationen:
- Associations.jp ruft zu einer Demonstration auf. Dabei soll auch eine Menschenkette gebildet werden. Am 3.11.2012, Versammlung um 14:00 Uhr im Hibiya Park in Tokyo, Beginn des Demonstrationszuges um 15:00 Uhr.
- Das Aktionskomitee All Japan 3.11. bietet einen Übersicht über die geplanten Demonstrationen für den Jahrestag. Ein deutschsprachiger Appell von All Japan 3.11. kann hier Ein Jahr nach Fukushima Sei aktiv für eine Welt ohne Atomkraft nachgelesen werden.
Ein letzter Buchtipp.
- Die österreichische Journalistin Judith Brandner veröffentlichte in ihrem Buch Außer Kontrolle und in Bewegung Reportagen über das Japan nach der Katastrophe und berichtet sanft und menschlich über Geschehnisse und Lebensverhältnisse von Menschen, die in der normalen Berichterstattung oft vergessen werden. Einzelschicksale und Verstrickungen der Politik und Atomwirtschaft. Sowie Interviews mit dem Schriftsteller Murakami Haruki, dem Atomkraft-Gegner Prof. Koide und Herrn Sakurai, dem Bürgermeister Minami-Somas. Kurz und knapp dringt der Leser in eine Welt ein, die ein mulmiges Gefühl hinterlässt. Nach Beendigung der Lektüre verlangt man nach mehr, mehr Informationen, mehr von solchen Geschichten einzelner Personen, die sonst in der grauen Masse der Katastrophenopfer nur als namenlose Zahlen untergehen.
Ansonsten warten die Medien mit einer Reihe von Tsunamibildern und AKW Explosionen auf. Bilder, die ich persönlich eigentlich nicht sehen möchte. Ich möchte Informationen, objektive, transparente, glaubwürdige Informationen, die jedermann verstehen kann. Von den deutschsprachigen Medien kann man dies wohl nicht fordern, doch ich wünsche mir in Zukunft, dass die japanischen Medien und die Regierung Japans einen ersten positiven Schritt in Richtung transparenter Berichterstattung wagen würden. Träumen darf man ja noch.
Ich frage mich, was man in ein paar Stunden bei uns erfahren wird. Wie verlaufen die Demonstrationen? Wurde wie immer im japanischen Fernsehen darüber nicht berichtet? Wie wird bei uns berichtet. Oder soll man einfach den Hut darauf werfen und die Augen verschließen, weitermachen wie bisher, als wäre nichts geschehen?
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen