Heute jährt sich das Tōhoku-Beben vom 11. März 2011, zum 5. Mal. Das Seebeben mit der Magnitude 9,0 löste einen verheerenden Tsunami aus, der mehr als 20.000 Menschen an der Pazifikküste Nordjapans in den Tod riss. Noch immer werden rund 5000 Menschen vermisst und die japanischen Bergungstruppen sind noch immer unermüdlich auf der Suche nach ihnen, um ihnen und ihren Hinterbliebenen einen würdigen Abschied geben zu können.
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Zum 5ten Jahrestag eine Sonderausgabe der Bungakukai
"Von Tōhoku aus über Literatur denken" |
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In den deutschsprachigen Medien dominiert aber vor allem die Atomkatastrophe von Fukushima Daiichi. Mittlerweile steht fest, dass nicht Erdbeben oder Tsunami in erster Linie für den GAU in dem AKW Fukushima Daiichi verantwortlich waren, sondern menschliches Versagen, schlampige Sicherheitsvorkehrungen und ungelesene Katastrophen-Notfallpläne. Obwohl die derzeitige Regierung bisherige Speerzonen um das AKW wieder zur Rückbesiedelung freigibt und im kommenden Jahr die Unterstützungsgelder für die Evakuierten in diesen Gebieten eingestellt werden, werden bis
voraussichtlich 2018 bzw 2019 Evakuierte in den Notunterkünften leben müssen. Derzeit leben noch immer 57.677 Menschen in den Notunterkünften. Vor allem für ältere Leute ist das Leben in den Notunterkünften anstrengend und sie sind aus ihrem gewohnten Umfeld entwurzelt worden, wodurch sich ein neues Problem ergibt. Der
kodokushi/孤独死 - der einsame Tod - von Evakuierten in den Notunterkünften beläuft sich mittlerweile auf 202 Personen, wovon 116, also circa 60 Prozent älter als 65 Jahre waren.
Es gibt genügend Artikel jetzt auch in den deutschen Medien, die sich eingehend mit dem 5. Jahrestag und vor allem mit den Problemen in Fukushima Daiichi beschäftigen, deswegen werde ich hier nicht viel dazu schreiben (können/müssen).
Ich möchte jedoch ein Gedicht vorstellen, von
Wagō Ryōichi (和合亮一), welches ich heute in der Literaturzeitschrift
Bungakukai gelesen habe. Wagō Ryōichi ist Japans "Twitter-Poet", er erlangte vor allem nach dem Tōhoku-Erdbeben 2011 an Bekanntheit, weil er seine Gedichte via Twitter verbreitete. (>>
Hier ein Link zu seinem offiziellen Twitter Account<<)
Wagō veröffentlichte in der
Bungakukai mehrere Gedichte unter dem zusammengefassten Titel "5 Jahre" (五年), darunter befindet sich "
An die Sterne" (星に).
星に
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An die Sterne
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夜空を歩こうか
そのようにして見あげる
およそ五万人の方々が
福島から避難をして
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Wollen wir nicht
am Nachthimmel spazieren?
So blicken sie hinauf
Ungefähr 50.000 Menschen
Die aus Fukushima geflohen sind
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暮らしている
瞬いている
息を味わい
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Leben
Blinzeln
Tief einatmen
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ずっと
探している
沈黙が沈黙する
はるか
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Die ganze Zeit
Suchend
Das Schweigen
schweigt
In weiter Ferne
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遠くの町のどこかで
あなたも 光に
気がつきましたか
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Irgendwo in
einer fernen Stadt
Hast nicht auch
du
Das Licht
bemerkt?
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(Bungakukai 2016, Vol.4, p.71)
Das ist natürlich nur eine behelfsmässige Übersetzung, die ich jetzt hier am Abend schreibe. In der Bungakukai waren noch weitere Gedichte von Wagō, die mir ganz gut gefallen haben.
Wagō Ryōichi ist in Fukushima-Stadt, der Präfekturhauptstadt Fukushimas, geboren und aufgewachsen und lebt noch immer dort. 1998 gewann er mit seinem Gedichtband AFTER den 4. Nakahara-Chūya-Preis, 2006 wurde sein vierter Gedichtband Chikyū Sunō Sihen (地球頭脳詩篇) mit dem Bansui-Preis ausgezeichnet.
Nach dem Tōhoku-Erdbeben vom 11. März 2011 veröffentlichte er auf seinem Twitter-Account mehrere Gedichte, die unter dem Namen "Kieselsteine der Dichtung" (shi no tsubute, 詩の礫) gesammelt im Gendaishi-techō (現代詩手帳), der wichtigsten Literaturzeitschrift für Gegenwartsdichtung in Japan, veröffentlicht wurde. Auf JapanFocus gibt es einen ausführlicheren Artikel über Wagō und seine "Pebbles of Poetry", sowie einige Übersetzungen der Gedichte ins Englische.
The Tōhoku Earthquake and Tsunami
詩の礫
詩の礫
詩の礫)
Nachdem ich Ende Feber 2011 mit meinem jetztigen Mann nach Japan gezogen bin, wird dieser "Jahrestag" vom 11. März 2011 auf Ewig mit meiner Ankunft in Japan verbunden sein.